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kermit

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Taucht ein in meine kleine Bücherwelt, lasst euch in Rezensionen, Neuigkeiten und kleinen Annekdoten treiben und verweilt doch ein bisschen bei gemütlichem Teichgeflüster. ...weil ein gutes Buch immer ein bisschen Paradies ist.

Der Märchenerzähler

Der Märchenerzähler - Antonia Michaelis Etwas so Einzigartiges habe ich noch nie gelesen: poetisch und tiefgründig, fesselnd und zweideutig, berührend und verstörend. Antonia Michaelis Worte malen diese Geschichte mehr, als dass sie sie nur erzählen und mein Herz klopft immer noch schneller, wenn ich mir manche Sätze und Szenen in Erinnerung rufe. Die Autorin geht völlig auf in der Erzählerrolle der Träumerin Anna und einmal eingetaucht konnte ich nicht mehr anders, als ihre Geschichte mit zu (er-)leben. Ob als kleine Streicheleinheit oder treffsicherer Pfeil, der Schreibstil hat mich keinen Satz lang kalt gelassen und es war wirklich schwer, wieder in der Wirklichkeit anzukommen. Kennt ihr Bücher, bei denen ihr euch wünscht, sie würden nie zu Ende gehen? Und kennt ihr Bücher, bei denen ihr euch das schon allein wegen der wunderbaren Wortwahl des Autors wünscht? Dieses hier war für mich genau so ein Fall von "Liebe auf der ersten Seite".Das mag auch daran liegen, dass ich mich zumindest anfangs sehr gut mit der Hauptperson Anna identifizieren konnte. Sie ist die Träumerin, die Denkerin, die Fragende, von der wir wahrscheinlich alle ein bisschen in uns haben. Nur trifft sie im Gegensatz zu uns auf Abel, den Märchenerzähler, das Fragezeichen, die Versuchung. Diese beiden könnten unterschiedlicher nicht sein: Herkunft, Einstellung, Zukunftspläne, alles scheint sich zu unterscheiden und trotzdem kreuzen sich ihre Wege immer wieder. Dabei hat sich Annas Faszination schnell auf mich übertragen. Wer ist Abel? Wie nahe kann man ihm kommen- und wie gefährlich kann das werden? Sie sind ein bisschen wie Frühling und Winter und nie genau zu wissen, ob es nun tauen wird oder nicht, hat mich unheimlich fasziniert. Man bekommt einen wirklich guten Einblick in Annas Gedanken- uns Gefühlswelt, aber alle anderen Charakteren lernt man durch die selten unbeschlagene Anna-Brille kennen. Es war oft schwer einzuschätzen, was man ihr glauben kann und das fand ich wirklich toll gemacht!Diese Ungewissheit zog sich auch durch die Handlung und hat es mir fast unmöglich gemacht, an irgendetwas Anderes zu denken. Scheinbar zufällig stolpert Anna in Abels Märchen und ist sofort gebannt. Aber während sie noch versucht, ihm auch in der Wirklichkeit näher zu kommen, übersieht sie, dass Fiktion und Realität längst verschwommen sind, dass sie ihre eigene Rolle bekommen hat- und dass nicht alle Märchen ein gutes Ende finden. Ich kann und will dazu gar nicht viel sagen, denn diese Geschichte sollte jeder Leser für sich selbst entdecken. Das Märchen ist gar nichts Spektakuläres, aber Parallelen, Verknüpfungen und versteckte Botschaften zu suchen hat mich mindestens so süchtig gemacht, wie Anna. Dieses Buch hätte damit mein absolutes Jahreshighlight werden können, weil irgendwie einfach alles wie geschaffen für mich war. Wenn diese eine Szene und Annas Umgang damit nicht gewesen wäre. Wer das Buch gelesen hat, dürfte wissen, was ich meine und mich vielleicht sogar verstehen, wenn ich sage, dass ich noch nie so gerne gleichzeitig die niedrigste und die höchste Froschzahl vergeben hätte. Ich kann immer noch nicht fassen, wie Antonia Michaelis das schreiben konnte und wie um alles in der Welt sie Anna kurz später denken und vor allem tun lassen konnte, was sie dann denkt und tut... So außergewöhnlich und großartig und unvergleichlich alles Andere auch war, aber das und ein meiner Meinung nach ziemlich kapitaler Logikfehler am Ende gingen für mich leider gar nicht.Fazit:Ein Buch, das berührt, bewegt, verstört und verzaubert. Eines, das man wirklich erlebt haben sollte! Aber auch eines, dessen Botschaften man sehr kritisch hinterfragen sollte und das ich jüngeren Lesern auf keinen Fall ans Herz legen würde.