Ich stehe den historischen Romanen mit einigen wenigen Ausnahmen eigentlich äußerst skeptisch gegenüber. Ihnen gelingt es nur schwer, mich in ihre Welt zu ziehen und dort auch zu fesseln. Umso mehr hat es mich überrascht, dass mir J.C. Grimwoods Venedig sehr gut gefallen hat. Der Autor hat einen vielleicht nicht unbedingt reißerischen oder fesselnden,aber sehr angenehmen Schreibstil und es fiel mir leicht, mich auf seine Beschreibung der Stadt einzulassen. Er erschafft ein mittelalterliches Venedig, das auf mich sehr realistisch gewirkt hat und das ich gerne erkundet habe. Dabei bekommt man als Leser keine Brille mit Tunnelblick aufgesetzt. Im Gegenteil: Bejubelte Regatten, prunkvolle Feste und die stolze Seele der Stadtbewohner lernt man genauso kennen, wie dunkle Seitengassen, Elend und Armut. Teilweise waren es mir zwar etwas zu viele Beschreibungen, aber alles in allem ist dem Autor der historische Schauplatz sehr gut gelungen. Was mir leider weniger gefallen hat, war seine "Kameraführung". Herr Grimwood arbeitet viel mit Perspektivwechseln, behält dabei aber auch innerhalb der einzelnen Kapitel keine klare Linie bei. Mal ist der Erzähler ein personaler, dann wieder ein auktorialer und man springt oft recht abrupt zwischen verschiedenen Personen und Orten hin und her, die zu separaten Handlungssträngen gehören. Das hat es mir vor allem anfangs sehr schwer gemacht, in die Geschichte hineinzufinden und einzelne Szenen und Schauplätze einzuordnen. Auch mit den Charakteren hatte ich durch die vielen Wechsel meine Anlaufschwierigkeiten. Denn die Geschichte dreht sich keinesfalls nur um Tycho und Giulietta. Neben den machtgierigen Mitgliedern des Herrscherhauses oder dem Anführer der Assassinen, bekommen auch allerhand Bedienstete eine größere Rolle und nach Sonnenuntergang halten die Gassen Venedigs dazu noch das ein oder andere übernatürliche Wesen bereit. In ihrer Vielzahl blieben mir die einzelnen Charaktere aber leider trotz interessanter Ansätze viel zu blass. Es fehlte mir an Beschreibungen, markanten Eigenschaften und an Seele hinter den Personen. Zwar waren gerade bei den fantastischen Figuren viele interessante Ideen dabei und der Autor wollte sicher auch nicht gleich im ersten Band sein ganzes Pulver verschießen. Aber so viel Potenzial zum Beispiel Tycho, die Hexe Ari´ial oder die geheimnisvolle Dogaressa definitiv noch bieten, hätte es für meinen Geschmack trotzdem schon eine etwas tiefer gehende Ausarbeitung sein dürfen. J.C. Grimwood legt das Hauptaugenmerk aber eindeutig auf die Handlung und dürfte damitzumindest Leser des deutschen Klapptextes überraschen. Ein gleichsam ungewollter, wie talentierter und blutdürstiger Auftragsmörder? Eine verbotene Liebe, der er sich nicht entziehen kann? Ein Kampf, Mensch gegen Magie? Sicher. Aber erst ab etwa Seite 300 und auch dann ganz anders, als erwartet. Nach einer größeren Liebesgeschichte wird man hier genauso vergeblich suchen, wie nach einem willenlosen Tycho und der mächtige Doge des Klapptextes ist ein geistig behinderter Jugendlicher, dessen Aufgaben von seiner Mutter und ihrem Bruder wahrgenommen werden. Lange Rede, kurzer Sinn: Die tatsächlichen Verhältnisse werden vom Klapptext nur gestreift und mich daran zu gewöhnen, hat einige Zeit gedauert. Schade, denn die Handlung bietet einiges: politische Ränke in und um Venedig, ein Assassinenbund als letzte Bastion gegen eine magische Bedrohung und nicht zuletzt das Geheimnis um den erinnerungslosen Tycho, dem das Morden so leicht gelingt und der das Sonnenlicht nur schwer erträgt. Leider hat die Umsetzung meinen Geschmack aber nicht getroffen. Mir waren es zu viele Einzelhandlungen, bei denen ich lange keinen roten Faden erkennen konnte. Außerdem hatte ich mir mehr von Tychos Hintergrund erhofft. Wer ist er? Was ist er? Die Standardantwort "0815-Vampir" gibt Herr Grimwood zwar nicht, aber so richtig überzeugen konnte mich seine Idee auch (noch) nicht. Zu guter Letzt hat mir als weiblicher Leserin die Liebesgeschichte überhaupt nicht gefallen und die übertrieben brutale Gewalt gegen Frauen, die sich durch das ganze Buch zieht, ist mir mehr als einmal sauer aufgestoßen.Fazit:"Silberklinge" besitzt eine tolle Grundidee, deren Umsetzung meinen persönlichen Geschmack aber leider nicht getroffen hat. Empfehlenswert für Freunde von historischer Fantasy, die eine rasante und actionreiche Geschichte suchen und sich nicht an etwas flachen Charakteren und einigen sehr brutalen Szenen stören.